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„Hier könnten Menschen wohnen"

Im Gespräch mit Sabine Ritter, Soziologin in Bremen und Co-Landessprecherin von DIE LINKE in Hamburg, über Wege aus der Wohnungskrise

 

Mietendemo 2022 Sabine Ritter DIE LINKE Hamburg
© Harald Singler | Mietendemo 2022 mit Sabine Ritter und Thomas Iwan

Wer Wähler:innen überzeugen will, kommt um das Thema Wohnungspolitik aktuell nicht herum. Was sind laut DIE LINKE Gründe dafür?

Einer der wohnungspolitischen Skandale in Hamburg ist die Zweckentfremdung von Wohnraum. Einerseits haben wir hier das Problem aller europäischen Großstädte: Unter anderem durch AirBnB wird Wohnraum zu Ferienwohnungen oder es entstehen kleine möblierte Appartements für teure Kurzzeitmiete. So wird die Miete des verbleibenden Wohnraumes hochgetrieben. Wir haben zwar Regularien in Hamburg, die aber nicht konsequent umgesetzt werden.


Barcelona etwa ist eine Stadt, die sich jetzt wehrt und einen Riegel vor das Geschäft mit den Ferienwohnungen schiebt. In Hamburg ist andererseits aber der Fall, dass nach wie vor Büros gebaut werden, während gleichzeitig zum Beispiel in der City Nord Büroraum leer steht. Statt für die Menschen der Stadt bezahlbaren Wohnraum zu bauen, steht das Geschäft mit Immobilien im Vordergrund. Einzelinvestoren etwa entmieten Wohnraum, um mit viel teureren Mieten schnell viel Geld zu verdienen. Giga-Wohnungskonzerne wie Vonovia haben zum Ziel, Aktionär:innen glücklich zu machen. Jeder Cent, der in die Mieten fließt, verlässt die Stadt - und Hamburg hat gar nichts davon. Bei Immobiliengeschäften wird mehr verdient, als gut für die Gesellschaft ist.


Wie ist die DIE LINKE gegen diese Entwicklung aktiv?

Wir sticheln permanent. Wir stellen Anfragen in der Bürgerschaft und reichen Anträge in der Bezirksversammlung ein, wir machen als Partei PR-Aktionen, wir unterstützen Mieter:innen-Inis. Ganz großes Kino waren jüngst unsere Banneraktionen, mit denen wir markiert und sichtbar gemacht haben, wo Wohnraum leer steht. In Kleinarbeit haben wir den Leerstandsmelder konsultiert, Listen erstellt und überprüft. Für Social Media haben wir gefilmt, wie wir an diesen Orten wie z.B. der mittlerweile berühmten Methfesselstraße 80 riesige Transparente mit dem Schriftzug „Hier könnten Menschen wohnen“ angebracht haben. Gleichzeitig geht man in dieser Stadt täglich an wohnungslosen Menschen vorbei. Aktionen wie unsere machen dem Druck, was zu unternehmen. Leerstände sind den Ämtern und dem Senat ja bekannt.


Die Stärke von DIE LINKE liegt in der konkreten Situation?

Unbedingt. In den Stadtteilen, in denen wir mit unserer Sozialberatung vor Ort sind, sehen wir, wo der Schuh drückt. Bei Haustürgesprächen haben wir erfahren, dass in SAGA-Wohnungen in Wilhelmsburg den ganzen Winter über die Heizung ausfiel. Die Mieter:innen haben wiederholt reklamiert. Nicht nur mussten sie den ganzen Winter frieren, es hat sich natürlich Schimmel in den Wohnungen gebildet. Die SAGA hat sie ignoriert. Unsere Stimme in den Parlamenten ist superwichtig: Erst durch unseren Druck in der Bezirksversammlung Mitte ist dann etwas passiert, hat die SAGA reagiert. Dabei unterstützen wir städtische Wohnungsgesellschaften auf jeden Fall. Sie sind wichtig, aber wir müssen uns wehren, wenn sie schlecht verwaltet, nicht im Sinne der Mieter:innen gemanagt werden. Und wir brauchen einen Mietenstopp. Wir brauchen Sozialwohnungen, für die die Mietpreisbindung gültig ist.





Und was ist bei der parlamentarischen Arbeit – was würde DIE LINKE anders machen?

Wir würden sofort jeden weiteren Verkauf von öffentlichem Grund und Boden stoppen. Hamburg hat sich jahrzehntelang um Kopf und Kragen privatisiert. Und es ist ja ganz deutlich, etwa bei dem Immobilienfiasko um die Signa-Gruppe von René Benko: Wenn dann eine Krise herrscht, bricht alles weg. Ein Staat und auch ein Stadtstaat braucht eigenen Grund und Boden. Hamburg muss für alle bewohnbar sein. Aktuell wird an die Meistbietenden verkauft und ohne Sinn und Verstand gebaut. Wer es bezahlen kann, bekommt den Zuschlag. So dürfen unsere Maßstäbe nicht sein. Wohnen ist ein Grundrecht.


Und über das Wohnen hinaus?

Damit Hamburg lebenswert ist, ist öffentlicher, nicht-kommerzieller Raum für alle notwendig. In den einzelnen Bezirken brauchen wir mehr kommunale Zentren, Senior:innenzentren und auch Gesundheitszentren wie die beispielhafte Poliklinik auf der Veddel.


Eigentlich ist diese ganze Entwicklung in anderen Städten schon geschehen: New York, London, Barcelona. Seit über 30 Jahren. Wieso wiederholen alle Regierungen dieses Muster?

Man denkt immer, mit gesundem Menschenverstand müsste so viel möglich sein. Aber der Neoliberalismus hat global so ein finsteres Werk verrichtet, Südeuropa in Grund und Boden kaputt gemacht. Dennoch durchdringt seine Ideologie immer noch unsere Gesellschaft. Javier Milei war erst im Juni in Hamburg und ist von der Hayek-Gesellschaft geehrt worden. Wir haben dagegen demonstriert – und Olaf Scholz hat ihn in Berlin begrüßt. Er musste natürlich den argentinischen Staatschef empfangen, aber es illustriert, welche Macht der Neoliberalismus trotz seiner Folgen nach wie vor hat.


Sehr deprimierend. Welche Hoffnungen können wir da noch haben?

Gemeinsam können wir als engagierte Bürger:innen, als Bewegungen, Gewerkschaften, Initiativen und als Linke das Leben für alle besser machen. Und es gibt ja immer wieder Erfolgserlebnisse, wie zum Beispiel das der Mieter:innen der SAGA. Dieses profitgetriebene Wirtschaftssystem ist weder in Stein gemeißelt noch vom Himmel gefallen.


Hab herzlichen Dank für das Interview und für deine Zeit, Sabine.




Das Gespräch mit Sabine Ritter hat Friederike Müller am 23.06.2024 im elbgold im Hamburger Schanzenviertel geführt. Veröffentlicht wurde eine gekürzte und mit Sabine abgestimmte Fassung.



 

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